Am Wochenende (18.-20.03.2022) sind vom Ammersee-Westufer Hilfsgüter für Opfer des Ukraine-Krieges mit einem Kleintransporter in die nordostpolnische Kleinstadt Nowe transportiert worden. Die von dem Uttinger Klaus Horney initiierte Spendenaktion hatte spontan enorme Unterstützung gefunden. Zahlreiche Sachspenden kamen am Uttinger Dorfbrunnen und im Dießener Ammersee Denkerhaus zusammen, großzügige Geldspenden ermöglichten die Anmietung eines Kleintransporters und die 1.100-km-Fahrt.
Zu Spenden für Opfer des Ukraine-Krieges hatte Klaus Horney, Vorstandsmitglied der Lokalen Aktionsgruppe LAG Ammersee im EU-Förderprogramm LEADER, aufgerufen. Bedarfe hatte er in Kontakten mit der polnischen Partnerregion erfahren, wo Geflüchtete aus dem Nachbarland untergekommen sind. Rasch zeigte sich eine enorme Spendenbereitschaft, so dass neben Familie Ness in Utting auch das Dießener Ammersee Denkerhaus Sachspenden entgegennahm: vor allem Kinderbekleidung, Decken und Bettzeug, Hygieneartikel, Spielsachen, aber auch Lebensmittel und medizinisches Material.
Freitagfrüh starteten schließlich die Dießener Petra und Hans-Peter Sander mit einem sehr gut gefüllten Fiat Ducato nach Polen, begleitet von Klaus Horney und Toni Hörmann aus Fischen mit einem ebenfalls voll beladenen PKW-Kombi. Bei einem Zwischenstopp im südthüringischen Triptis wurden weitere Sachspenden eines dortigen Kindergartens eingeladen. In Nowe angekommen, begrüßte Ania Dowhań die deutschen Gäste, die sich als Deutschlehrerin auch für den deutsch-polnischen Schüleraustausch mit dem Ammersee Gymnasium engagiert.
Samstagvormittag wurde in der Freiwilligen Feuerwehr von Nowe der Transporter gemeinsam mit Feuerwehrkameraden entladen. Angepackt hatte dabei auch der 2. Bürgermeister, Zbigniew Lorkowski. Am Abend luden der 1. Bürgermeister Czesław Woliński und sein Stellvertreter Lorkowski zu einem Abendessen ein. Bei dieser Gelegenheit informierten sie über die Situation in ihrer Kleinstadt und über die hier geleistete Hilfe für die Opfer des Ukraine-Krieges. Das Gespräch mit vielen interessanten Informationen hat Ania Dowhań übersetzt.
„Den Leuten aus der Ukraine ein Dach über dem Kopf geben“
Wie Zbigniew Lorkowski erklärt, entwickelt sich die Lage in Polen momentan so: Die meisten ukrainischen Geflüchteten konzentrieren sich in Südostpolen, nahe der ukrainischen Grenze. Sie hoffen auf ein schnelles Ende des Krieges und damit auf eine rasche Rückkehrmöglichkeit. „Bei uns in Nordpolen sind also nicht so viele Geflüchtete, und wenn sie doch in diese Region kommen, wollen sie möglichst in Großstädte, wo sie bessere Arbeitsmöglichkeiten erwarten.“
Aktuell beherbergt die nordostpolnische Kleinstadt Nowe 92 Geflüchtete aus der Ukraine, die seit dem 24. Februar in kleinen Gruppen angekommen sind. Bürgermeister Woliński rechnet in nächster Zeit mit noch weiteren 40 Personen und berichtet: „Bis jetzt konnten wir alle in Privathäusern unterbringen; die Bewohner von Nowe und Umgebung melden sich bei uns, wollen freiwillig den Leuten aus der Ukraine helfen und ihnen ein Dach über dem Kopf geben.“
Die ukrainischen Geflüchteten kommen nicht zufällig in das ländliche Nowe. „Wir arbeiten mit unserer ukrainischen Partnerstadt Radywyliw zusammen und nehmen in erster Linie Menschen von dort auf“, erzählt der Bürgermeister. Radywyliw ist eine ukrainische Kleinstadt mit etwa 11.000 Einwohnern, ca. 70 km östlich von Lwiw gelegen. Die Städtepartnerschaft galt bislang vor allem dem Schüleraustausch der Grundschulen und einer Partnerschaft der freiwilligen Feuerwehren. Nowe hatte z.B. der ukrainischen Partnerwehr Ausrüstung geschenkt und es wurden gemeinsame Wettkämpfe ausgetragen. Es fanden auch gegenseitige Tage der Partnerstädte statt. „An der Schule von Radywyliw wird auch polnisch unterrichtet und wir helfen mit Lehrbüchern“, berichtet Vize-Bürgermeister Zbigniew Lorkowski. „Viele junge Leute dort lernen unsere Sprache, weil sie in Polen studieren oder auch arbeiten wollen. Unsere Geschichte und Kultur hat viele Gemeinsamkeiten, deshalb integrieren sich die zwei Gesellschaften ziemlich schnell.“
Nowe unternimmt Anstrengungen, geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu helfen. Die Mehrzahl sind im Grundschulalter und Kindergartenkinder. „Zurzeit haben wir 15 grundschulpflichtige geflüchtete Kinder“, berichtet Vize-Bürgermeister Lorkowski. „Diese Woche waren sie bereits für ein paar Stunden im Unterricht, vor allem um sich zunächst mit polnischen Kindern bekannt zu machen. Jetzt hat ein Prozess begonnen, in dem Flüchtlingskinder in der Schule angemeldet werden, denn auch für sie besteht bei uns eine Schulpflicht. Um die Sprachbarriere zu senken, haben wir eine schon längere Zeit bei uns lebende Frau aus der Ukraine eingestellt, die mit ihren perfekten polnischen Sprachkenntnissen bei der Verständigung zwischen den Kindern, Lehrern und auch Müttern hilft.“
Außerdem werden die momentan 13 jüngeren ukrainischen Kinder den Kindergarten von Nowe besuchen. „Da ist die Sprachbarriere zum Glück noch nicht so groß“, meint Lorkowski und fügt hinzu: „Aber alle Kinder haben schwierige Erlebnisse zu verarbeiten, das steht jetzt im Zuge der Integration im Mittelpunkt. Und erst danach kommt das Vermitteln von Schulstoff.“ Ältere ukrainische Schüler, ab 15 Jahren, deren Anzahl aber in Nowe noch gering ist, erhalten Online-Unterricht aus ihrem Heimatland. „Um Oberschüler kümmert sich bei uns zwar der Landkreis“, so Lorkowski, „aber unsere Verwaltung von Nowe hat den bislang bei uns angekommenen Jugendlichen Laptops geliehen.“ Gastfamilien, so ist weiter zu erfahren, bekommen inzwischen staatliche finanzielle Hilfen. Und in Nowe sind verschiedene Örtlichkeiten geschaffen worden, wo Geflüchtete, deren Gastgeber und Helfer zusammenkommen können.
Hilfsgüter gelangen in ukrainische Krankenhäuser
Nowes 1. Bürgermeister Czesław Woliński dankt ausdrücklich für die Hilfsgüter aus der Ammersee-Region, freut sich mit seinem Stellvertreter sichtlich über die Solidarität aus Deutschland. Anfang März war schon aus Nowes thüringischer Partnerstadt Leinefelde-Worbis ein erster deutscher Transport mit gespendeten Hilfsgütern angekommen.
Wie Bürgermeister Czesław Woliński erzählt, hatte sich nach Ausbruch des Ukraine-Krieges der Bürgermeister der ukrainischen Partnergemeinde in Nowe gemeldet und konkrete Bedarfe aufgezählt. Inzwischen auch in Nowe ankommende Hilfsgüter werden dort zunächst aufgeteilt: Ein Teil geht direkt nach Radywyliw, mit dem konkrete Bedarfe gedeckt werden. Der inzwischen größere Teil gelangt an die polnisch-ukrainische Grenze. Wie zu erfahren ist, werden dort auch Feuerwehrgebäude als Umschlagstationen genutzt, wo die Hilfsgüter von ukrainischen Kräften abgeholt werden.
„Bei uns in Nowe werden Hilfsgüter, wie die vom Ammersee, sortiert und in Pakete gepackt, die wir auch gleich beschriften“, erklärt Zbigniew Lorkowski. Viele Sachen gelangen von Nowe direkt ins Krankenhaus von Radywyliw sowie ins Krankenhaus der noch weitere ca. 70 km östlich gelegenen 38.000-Einwohner-Stadt Dubno. Beide Krankenhäuser behandeln sowohl Zivilisten als auch verwundete Soldaten. „Die Krankenhäuser entscheiden dann, was bei ihnen bleibt und was weiter in die umkämpften Gebiete der Ukraine geleitet wird.“ Für die spontane Hilfsaktion am Ammersee danken die Rathauschefs mit herzlichen Worten; diese zeuge von einer enorme Hilfsbereitschaft und Solidarität. Was in der Fortsetzung nun gebraucht wird, wollen die Gäste aus Bayern auch noch wissen. Bürgermeister Czesław Woliński zeigt eine neue Handy-Nachricht seines ukrainischen Amtskollegen: Vor allem wird dieser Tage medizinisches Material, alles was der Versorgung von Wunden und Verletzungen dient, einschließlich Medikamenten z.B. zur Schmerzbehandlung und Antibiotika, dringend benötigt. Während Kleiderspenden zumindest vorläufig genügend eingetroffen sind, bleiben Geldspenden besonders gefragt, um die richtigen, medizinischen Dinge beschaffen zu können.